Die verlorene Stute by Simenon Georges

Die verlorene Stute by Simenon Georges

Autor:Simenon, Georges [Georges, Simenon]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-06-26T16:00:00+00:00


6

Er erwachte viel später als gewöhnlich, nach einem zugleich schweren und unruhigen Schlaf, denn zuweilen nahm er verschwommen seine Umgebung wahr, fühlte, wie er schlaff und von einem ungesunden Schweiß durchnäßt zwischen den Laken lag. Der Begriff des Bösen verfolgte ihn in seinen Alpträumen, und sowie er sich an die Oberfläche auftauchen fühlte, vergrub er sich beharrlich aufs neue in den trägen Schlummer, und weil er wußte, daß ihm am Ende etwas Unangenehmes bevorstand, schob er den Augenblick des Erwachens immer wieder hinaus.

Bevor er die Augen öffnete, offenbarten sich ihm gleichzeitig mehrere Gewißheiten. Da war zunächst einmal der aus der Küche dringende Geruch von Eiern mit Speck. Demnach mußte es Sonntag sein, obwohl er den ganzen gestrigen Tag hindurch nichts Samstägliches bemerkt hatte. Es war also Sonntag und acht Uhr früh, und es entsprach einer Tradition, die bis auf ihre Kindheit zurückging: Trotz der Vorliebe ihres Bruders für rotes Fleisch bestand Mathilda darauf, am Sonntag dem Frühstück von Farm Point treu zu bleiben, bei dem es Orangenmarmelade gab, die einst, weil sie teuer war, nur an diesem Tage serviert wurde, und zwar immer nur ein Teelöffel voll für jedes Kind.

Er hätte schon längst auf sein sollen, um wie an jedem Sonntagmorgen mit Gonzales seinen Ausritt zu machen.

Er brauchte auch nicht die Augen zu öffnen, um zu wissen, daß es regnete. Er hatte es donnern hören, und nun prasselte der Regen aufs Dach. Ferner wußte er, daß die Berge kaum sichtbar sein würden, und eine gewisse Eigenschaft der Luft, eine ganz besondere Frische, verkündete ihm, daß es endlich Winter war. Es kam immer ganz plötzlich. Ein Winter, in dem fast immer die Sonne schien und es zur Mittagszeit recht warm sein konnte. Trotzdem würde Mathilda noch heute die Wolldecken auf die Betten legen – dann roch alles ein paar Tage lang nach Mottenkugeln – und der Chinese den Heizkessel in Betrieb setzen.

Während er seine Schwester kommen und gehen hörte, beschloß er, sich zu waschen und zu rasieren – äußerst behutsam, denn er fühlte sich noch etwas schlapp. Einzelheiten des gestrigen Tages kamen ihm bruchstückweise oder eher ruckweise in Erinnerung, und das alles erschien ihm schmutzig; er schämte sich dessen, was er gesagt hatte, schämte sich seines plötzlichen Vertrauens in Boris, der nie sein Freund gewesen war.

Immerhin, sein Teint war frisch wie immer, und die Augen blickten klar. Für einen Mann in seinem Alter hatte er es gut überstanden, und das erfüllte ihn mit Stolz. Jetzt mußte er nur noch so tun, als ob nichts wäre, auf ganz natürliche Art in den Gemeinschaftsraum treten, seiner Schwester einen Kuß auf die Stirn geben und sich an seinen Platz setzen.

Es gelang ihm fast zu gut, und er benahm sich so ungezwungen, daß sie das Gesicht abwenden und lächeln mußte.

In einem anderen Zimmer hörte man Pia bei ihrer großen Morgentoilette, und bald würde sie sich stöhnend ihre Schuhe anziehen, die sie immer nur am Sonntag trug.

Mathilda saß ihm gegenüber, und sie aßen beide. Dank dem Regen und der frischen Luft wirkte das Innere des Hauses behaglicher.



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